Kulmbacher Budenzauber

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Kulmbacher Marktbude im Foyer der Museen im Mönchshof

Längst ist sie vorbei, die Zeit von Kiosk und hölzerner Marktbude – als Ort zur Deckung des „kleinen Einkaufs“ und „Zwischendurch-Hungers“ sind sie inzwischen abgelöst vom fahrenden Imbisswagen.
Der Kiosk an der Ecke hat in unserer Region im Zeitalter der Supermärkte ausgedient – gleichwohl er in anderen Bundesländern als „Trinkhalle“ noch immer zum Ortsbild zählt. Die mobile „Bude“, die temporär bei Festivitäten oder beim Wochenmarkt zum Einsatz kam, gibt es kaum mehr. Zu aufwändig ihre Handhabung, zu umständlich ihr Transport, ist sie auch lebensmittelrechtlich schon lange nicht mehr das Mittel erster Wahl. Lediglich bei jahreszeitlichen Spezialmärkten, wie zu Weihnachten und Ostern, oder bei nostalgischen Themenmärkten, so etwa dem Töpfermarkt in Thurnau, ist sie noch häufiger zu anzutreffen.

Die Bratwurstbude

Damit diese aussterbende Kultur auch weiterhin  im Gedächtnis bleibt, sammelt Bernhard Sauermann, Museumsleiter der „Museen im Kulmbacher Mönchshof“ schon seit Jahren Informationen und Exponate auch zu diesem Thema, wobei sich in diesem Zusammenhang seine ganz persönliche Geschichte eng mit der des Kulmbacher Mönchshofes trifft. Um das zu verstehen, muss man einige Jahre zurückblicken:  Als am Samstag, den 23. September 1989, die „Rückkehr der Sauermanns-Kuh“  auf dem Blaicher Dorfplatz gefeiert wurde, organisierte Bernhard Sauermann, dass Hans Gräbner, ein ehemaliger „Sauermann-Metzger“ (früher dort zuständig für die Bratwurtfertigung)  einen seiner drei Bratwurststände in Aktion setzte und die zahlreichen Gäste kamen neben zünftiger Musik und diversen Ansprachen auch in den Genuss von „Sauermanns-Bratwürsten“. Die ließ er vom Untersteinacher Metzger Edwin Friedrich ( ehemals „Deutsches Haus“) nach einem alten Sauermanns-Rezept herstellen. Auch er hatte sein Handwerk noch in der traditionsreichen Wurstfabrik Sauermann in der Blaich gelernt.

Das Wiederaufleben der legendären „Sauermanns-Bratwurst“ nach knapp einem viertel Jahrhundert Vergessenheit begeisterte nicht nur die Gäste, sondern vor allem auch den Initiator Bernhard Sauermann, einem Nachkommen der ehemals gleichnamigen Blaicher Fleisch- und Wurstwarendynastie. Fortan lieh er sich zu Festivitäten in der Blaich, wie der „Blaicher Kerwa“, dem „Blaicher Wiesenfest“ , dem  „Blaicher Weihnachtsmarkt“ oder dem Kulmbacher Altstadtfest im hinteren Oberhacken, eine der Gräbnerschen Bratwurstbuden und ließ Bratwürste nach Sauermanns Art auf dem Holzkohlengrill von kundigen Bratern „auflegen“ – das war zunächst mit großem Stolz natürlich der „Gräbners Hans“ und später mit bewundernswerter Hingabe „Mama Winterstein“ und deren Familienmitglieder.  Seit sich Edwin Friedrich  in den Ruhestand verabschiedet hat, werden die Bratwürste in der Metzgerei  von Heinz Ohnemüller in Weiher hergestellt – weiterhin nach dem Original-Sauermanns-Rezept. Bis auf den heutigen Tag – 2020 lediglich unterbrochen durch die Corona-Einschränkungen.

Sämtliche drei historischen „Gräbnerschen Bratwurstbuden“ nennt Bernhard Sauermann inzwischen dankbar sein eigen. Er hat sie von Hans Gräbner nach dessen Tod geerbt, hält sie in Ehren und pflegt damit weiterhin Fest um Fest längst tradierte urfränkische Genusskultur.

Mitte der 1990er Jahre  fiel Sauermann eine seltene Studie des Kulmbacher Genremalers Michel Weiß in die Hände. Neben seinen zahlreichen Portaits war der Künstler bekannt für  seine Stadt- und Landschaftsbilder, die sein außerordentliches Engagement für das „alte Kulmbach“ durch Rückblendung auf die Biedermeierzeit ausdrucksstark dokumentieren. Auf einem alten Pappkarton ist die Atmosphäre um eine historische Kulmbacher Bratwurstbude mit ein paar flinken Pinselstrichen skizziert. Impressionen, vor Ort eingefangen – eine Vorstudie für ein großes Gemälde, das vielleicht einmal im Atelier hätte entstehen sollen. Bis heute ist ein solches allerdings nicht bekannt und so bleibt die kleine Studie das einzige diesbezügliche Zeugnis aus seiner Hand.

„Probekarton“  des Kulmbacher Malers  Michel Weiß (Privatbesitz). In dieser kleinen Studie ist die besondere Athmosphäre am Bratwurtsstand auf dem Kulmbacher Marktplatz sehr gut eingefangen.  – Foto: Leonard Firak

Gegenwärtig mutiert die traditionsreiche Kulmbacher Bratwurstkultur eher zur Randerscheinung neben einem breit aufgestellten modernen Fast-food-Wesen – zu einer Nische gelebten, fränkischen Feinschmeckertums. Generationen bekannter Braterfamilien wie zum Beispiel: Gräbner, Winterstein, Ramming, Eichenhüller, Henninger, Endress/Batistella und Wolfrum/Bär wussten nicht nur, wie man die lebendige Flamme des Holzkohlenfeuers domptiert, und wann wieviele Bratwürste auf das Rost zu legen sind, sondern auch, mit Geduld und stets guter Laune die Sonderwünsche der Kundschaft zu erfüllen. Nicht jeder wollte ein Paar von den feinen Bratwürsten im halben „Kulmbacher Bratwurststollen“ (die Hälfte einer doppelten, großen Semmel, die extra zum Verzehr mit Bratwürsten entwickelt wurde, länglich geformt und mit Anis bestreut), sondern hatte seine eigene Bratwurstphilosophie: „aana im Viertel, im Halben im Ganzen“ oder „a Poor im Halben oder im Ganzn“. Außerdem gab und gibt es immer noch Wünsche hinsichtlich des Reifegrades beim Grillprozess: hell oder dunkel und zuguter Letzt ist noch zu klären: „mit oder ohne Senf(t)“ und ob „mit viel oder wenig Senf(t)“.
Eigensinn ist dem Franken nachgesagt, aber auch eine gute Portion Bescheidenheit, die sich nicht zuletzt in der von ihm traditionell praktizierten Budenkultur widerspiegelt.

Die Bierbude

Für das Bayerische Brauereimuseum  suchte Sauermann zeitgleich über lange Jahre nach einer für die Region typischen, historischen Bierausschankbude und wurde tatsächlich fündig. Gleich in der Nachbarschaft zum Mönchshof entdeckte er am Rande des BSC-Fußballplatzes– durch ihren blauen Anstrich leicht erkennbar, eine alte Mönchshof-Ausschankbude. Unglücklicherweise wurde diese, ehe er sich versah, Raub eines Johannisfeuers.  „Seinerzeit bedauerte ich sehr, dass damit wohl die letzte hölzerne Original-Bierbude des Kulmbacher Raumes unwiederbringlich verlorenging – ich war einfach nicht schnell genug. In meiner Kindheit waren diese Art von Ausschankstellen noch Gang und Gäbe – generelle Marktbuden, die auch für den Getränkeausschank herhalten mussten“, so der Museumsleiter.

Groß war die Freude, als ihm (gleichsam als Weihnachtsgeschenk) dieser Tage die „allerletzte Bierbude ins Haus geschneit kam“. Günter Limmer von der Marinekameradschaft Kulmbach, die bisherige Eigentümerin, überbrachte die frohe Botschaft, dass die Bude zu haben wäre. Die Vereinigung nutzte das hölzerne Prachtstück, wenngleich mittlerweile etwas in die Jahre gekommen, bislang  als Ausschank bei ihren vielfältigen Festivitäten im Garten ihres Vereinsheimes in der Negeleinstraße/Mittelau. Nun suche man für das gute alte Stück einen würdigen „Altersruhesitz“.

Von links: Bernhard Sauermann, Museumsleiter; Herbert Hesslinger, Museumstechniker; Günter Limmer, von der Marinekameradschaft Kulmbach, und das Expertenteam Volker Hempfling, Zimmermann sowie Lars Becker vom Eventunternehmen „Tausendundeins“. – Foto:  Karola Helm

Die Marktbude

Bereits beim Abbau des „Probanden“ hegten die Museumsmitarbeiter den Verdacht, dass es sich bei dem Findling wohl ursprünglich um eine städtische Marktbude gehandelt haben könnte. „Letztes Zeugnis einer untergegangenen Marktbudenkultur“, glaubt Museumsleiter Sauermann, „es liegt der Verdacht nahe, dass diese einst im angrenzenden Kulmbacher Bauhof gelagert waren“.

Den entscheidenden Hinweis für diese Vermutung liefert eine auf alle Einzelteile des Marktstandes aufgemalte numerische Kennzeichnung: die Bude aus der Mittelau trägt die Nummer 38 und ist damit scheinbar der letzte Vertreter eines vormals reichhaltigen Bestandes in einer Größenordnung, wie ihn selbst die großen Kulmbacher Exportbierbrauereien nicht unterhalten haben dürften.

Fotos: Karola Helm

Mit nur wenigen  Handgriffen kann man die Bude relativ geschickt in handliche Einzelteile zerlegen, was den Transport zum Markt und das dortige Aufstellen sehr erleichtert hat. Damit man die Teile unterschiedlicher Stände nicht durcheinanderbringen konnte, waren die einzelnen Module gewissenhaft mit der jeweiligen Identifikationsnummer gekennzeichnet.

Der Kiosk

Ebenso wie die mobilen Marktbuden sind auch die hölzernen Verkaufskioske der frühen Nachkriegszeit längst Geschichte. Einst prägten sie auch das Kulmbacher Stadtbild an vielen Ecken und in zahlreichen Winkeln. Einige davon sind noch in lebendiger Erinnerung,  wie z. B. der Kiosk neben der alten Realschule in der Pestalozzistraße, oder jener an der Holzbrücke in der Pörbitsch, der „Milchkiosk Heer“ in der Blaich und das sog. Hainständla in der Oberen Stadt, der  Kiosk „Hoh“ in der Zinsfelder Straße und jener am unteren Weiherer Berg.

Andere sind längst vergessen. „Interessant wäre es, an weiterführende Informationen und einschlägiges Bildmaterial zu gelangen, was vielleicht noch in den Köpfen und auf den Dachböden manch älterer Kulmbacher schlummert“, wünscht sich Bernhard Sauermann (Kontakt: Ulrich Deichsel, mail: , Tel.: 09221/80520).

Wenn man heute mit wachen Augen durch die Heimat streift, findet man mit viel Glück immer noch den einen oder anderen ausgedienten Zeitzeugen einer vormals flächendeckenden Gebrauchsgüterkultur, der es nach seiner „Außerdienststellung“ nicht wert erschien, für die Nachwelt erhalten zu bleiben.

Bild links: Standort dieses bunt gestalteten Kiosk (ähnlich dem an der Kulmbacher Realschule) ist im Freilichtmuseum Lindlar im Bergischen Land.- Foto: Freilichtmuseum Lindlar

Bild rechts: Ausgedientes „Original-Realschulständla“, vor ca. 30 Jahren als Gartenlaube in eine private Reuth versetzt.- Foto: Sigrid Daum-Sauermann

Das Sortiment eines solchen Kiosk umfasste in erster Linie Zeitschriften, Tabakwaren, Getränke  und Süßigkeiten, aber durchaus auch Obst und Gemüse. Nicht nur auf Kinder übte das „Ständla“ mit seinen Pfennigartikeln wie Mäusespeck, Bärndreck und Wundertüten eine magische Anziehungskraft aus.

„Es haftet ein geheimer Zauber an all diesen alten Buden und Bretterhütten – die Erinnerung an eine ungezügelte Lebensfreude und Ausgelassenheit – an eine Zeit, in der die Freude am Feiern und Genießen noch nicht durch allerlei Regularien ihrer Unbekümmertheit beraubt war“, ist Bernhard Sauermann überzeugt. „Und wenn man dieser Tage im Museumsshop der Museen im Kulmbacher Mönchshof vielleicht nach einem letzten, passenden Weihnachtsgeschenk stöbert, kann man einen Blick erhaschen auf die Bude Nr. 38, die dort aufgebaut ist, um das zu sein, was sie eigentlich sein möchte: ein fantastisches Verkaufsargument für schöne und nützliche Dinge“.